2.3 Psychologische Sicht


Zielfragen:
  • Wie lernen Erwachsene im Vergleich zu Kindern nach C.G. Jung?
  • Welche Aspekte Paul Watzlawicks finden sich in der systemisch-konstruktivistischen Didaktik wieder? Und welche Implikationen haben diese Aspekte auf den Unterricht?

Der Tiefenpsychologe C.G. Jung hat uns auch im Bezug auf die Unterschiede zwischen der Kindheitsentwicklung und der Entwicklung des erwachsenen Menschen die Augen geöffnet. Kinder betonen beim Lernen eindeutig die Differenzierung – es geht darum, ein Ding vom anderen zu trennen. "Was ist das?", "Warum ist es so und nicht so?", "Welche anderen Formen gibt es?" Kinder suchen aktiv nach Unterschieden.

Und viele Menschen – Psychologen eingeschlossen – waren davon so beeindruckt, dass sie annahmen, bei allen Lernvorgängen gehe es um Differenzierung, also darum, mehr und mehr "Dinge" zu lernen.

Jung hingegen hat darauf hingewiesen, dass Erwachsene mehr nach Integration suchen, danach, Gegensätze zu überbrücken. Erwachsene suchen nach der Verbindung zwischen Dingen, danach, wie die Dinge zusammenpassen, wie sie interagieren, wie sie zum Ganzen beitragen. Wir wollen allem einen Sinn abringen, die Bedeutung finden, den Zweck des Ganzen. Kinder entwirren die Welt; Erwachsene knüpfen alles wieder zusammen.

Im Folgenden versuche ich einige praktische Beispiele und logische Überlegungen darzustellen, die die Ideen des Konstruktivismus und der systemischen Psychologie etwas fassbarer machen sollen.


Die Sicht der Dinge

Paul Watzlawick, Professor für Psychotherapie, hat über die Relativität der individuellen Wahrnehmung, Gesetzmäßigkeiten in der menschlichen Kommunikation oder über die Suche nach dem Glück geschrieben. Mit scharfem Blick ortet er offene Fragen, um sie dann mit ausgeprägtem Forschersinn, Mut zum Unkonventionellen und dabei größter Genauigkeit anzugehen. Er erwähnt an einigen Stellen illustrative Beispiele für eine konstruktivistische Sichtweise. Folgende Beispiele können uns helfen, die Sichtweise auf das Unterrichten zu erweitern:

Am Ende einer erfolgreichen Kurzbehandlung umreißt die Patientin, eine junge Frau, die grundsätzliche Änderung in der konfliktreichen Beziehung zu ihrer Mutter mit den Worten:

"So wie ich die Lage sah, war es ein Problem; nun sehe ich sie anders, und es ist kein Problem mehr." Von dieser Äußerung ließe sich einerseits sagen, dass sie die Quintessenz therapeutischen Wandels darstellt; andererseits könnte man sehr wohl einwenden, dass sich nichts 'wirklich' verändert habe - außer bestenfalls etwas so Subjektives wie eine 'Ansicht' oder eine 'Einschätzung'.

Besonders bekannt wurde folgendes Beispiel aus der "Anleitung zum Unglücklichsein". Darin beschreibt Watzlawick einen Mann, der alle zehn Sekunden in die Hände klatscht. Nach dem Grund für dieses merkwürdige Verhalten befragt, erklärt er: "Um die Elefanten zu verscheuchen." Auf den Hinweis, es gebe hier doch gar keine Elefanten, antwortet der Mann: "Na, also! Sehen Sie?" Damit wollte Watzlawick zeigen, dass der konsequente Versuch, ein Problem zu vermeiden – hier: die Konfrontation mit Elefanten – es in Wirklichkeit verewigt.


Weiter in Paul Watzlawicks eigenen Worten: "Die Moral von der Geschichte ist, dass Abwehr oder Vermeidung einer gefürchteten Situation oder eines Problems einerseits die scheinbar vernünftigste Lösung darstellt, andererseits aber das Fortbestehen des Problems garantiert." Dazu komme, dass es überhaupt keine Möglichkeit gibt, die tatsächliche Exis-tenz des Problems zu überprüfen, solange das Vermeidungsverhalten sich fortsetzt.

Zu Problemlösungen sagte Watzlawick in einem Interview: "Wir versuchen gewisse Regeln und Möglichkeiten abzuleiten, die wir dann anzuwenden versuchen. Für mich zum Beispiel ist die "Bisher-versuchte-Lösung" der Patienten ein wichtiger Ausgangspunkt. "Was haben sie bisher getan, um mit Ihrem Problem fertig zu werden?" Das muss ich einmal verstehen. Dann werde ich, beginnen zu begreifen, was dieses Problem nicht nur erzeugt hat, sondern auch weiter erhält. Das ist keine Erfindung von uns, sondern das ist etwas, dass die Biologen schon lange wissen: Eine Gattung, die eine optimale Anpassung an ihre Umwelt erreicht hat, wendet fortwährend diese Anpassung an, auch wenn die Umwelt sich dauernd ändert. Je weniger diese Anpassung passt, um so "mehr-des-Selben". Das sehen wir immer und immer wieder. Menschen tun mehr-des-Selben und erzeugen natürlich mehr derselben Schwierigkeiten. Das heißt jetzt, man muss versuchen, eine total neue Idee einzuführen."

Unter der Überschrift 'Mehr desselben’ beschreibt Watzlawick "eines der erfolgreichsten und wirkungsvollsten Katastrophenrezepte", auf das die Menschen gekommen seien. Er hatte wohl kaum den modernen Unterricht im Auge, als er dies schrieb. Aber was er feststellte, passt sehr gut auf das, was wir tagtäglich im Seminar- und Lehrkontext beobachten und erleben.

Dieses Katastrophenrezept beruht "auf dem sturen Festalten an Anpassungen und Lösungen, die irgendwann einmal durchaus erfolgreich oder vielleicht sogar die einzig möglichen gewesen waren".

Die Folge des Festhaltens an alten Rezepten (z.B. tradierte Lehrkonzepte, standardisierte, logische Erklärungen, usw.) sei, dass es zu nichts führe, ... außer zu mehr desselben. Aus Gründen, die den Verhaltensforschern noch schleierhaft seien, neigten einige Menschen dazu, die einmal gelernten Reaktionen für die einzig möglichen zu halten. Dies führe zu einer zweifachen Blindheit:

Diese Blindheit ziehe nach sich:

Der damit einhergehende Leidensdruck führe zur scheinbar einzig logischen Schlussfolgerung, nämlich der Überzeugung, dass noch nicht genug zur Lösung des Problems getan worden sei – mit der Folge, dass man mehr desselben tue.

Watzlawick hat Heraklits Gedanken von der "Einheit in der Vielfalt" der Dinge aufgegriffen und darauf hingewiesen, dass ein Zuviel des Guten stets ins Böse umschlage. Zuviel Sicherheit erzeugt Kontrolle und Zwang, zuviel Buttercremetorte bringt Übelkeit mit sich.


Aussagen


Infobox:
  • Differenzierung vs. Verbindungen schaffen
  • Verknüpfungen erstellen
  • Individuelle Wahrnehmung
  • Altbewährtes ist nicht immer Bestmögliches


SELBST GELERNT HÄLT BESSER - SERIE 1 / Teil 1, "Konstruktivistische Didaktik & Methodik"
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