2.2 Konstruktivistische Sicht
Zielfragen:
- Welche Aspekte zeichnen den interaktionistischen Konstruktivismus aus?
- Ist der interaktionistische Konstruktivismus eine Form der systemisch-konstruktivistischen Didaktik?
- Welche Lernumgebungen sind für konstruktivistische Didaktik von Bedeutung?
- Welche konstruktivistischen Gestaltungsmöglichkeiten von Unterricht kennen Sie?
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Systemtheorie und Konstruktivismus sind zwei eng miteinander verbundene Theorierichtungen, die heute für unterschiedliche soziale Praxisfelder zentrale Bedeutung gewonnen haben: Psychotherapie und Familientherapie, Pädagogik, Organisationsberatung, Management, usw.
Der Radikale Konstruktivismus geht davon aus, dass jegliche Realität das Ergebnis individueller und subjektiver mentaler Konstruktionen ist. Der Interaktionistische Konstruktivismus setzt sich umfassend mit anderen Ansätzen in der Geistes- und Kulturgeschichte auseinander und versucht so, den Konstruktivismus als Ausdruck einer Kulturentwicklung und kultureller Praktiken zu verstehen und zu verdeutlichen. |
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Interaktionistischer Konstruktivismus
Der Interaktionistische Konstruktivismus ist ein neuer konstruktivistischer Ansatz, welcher eine systemisch-konstruktivistische Perspektive vertritt und der die Bedeutung der kulturellen und lebensweltlichen Interaktionen bei der Rekonstruktion, Dekonstruktion, und Konstruktion von Wirklichkeiten beachtet und analysiert. Er vertritt die These, dass diese Re-, De- und Konstruktion stets an die Handlungen der Lernenden geknüpft ist. Hierbei wirkt der subjektive Eigenanteil der Lernenden mit der sozial-kulturellen Lernumgebung zusammen. Im Sinne der konstruktiven Seite ist Lernen dann am effektivsten, wenn die Lernenden ihren Lernprozess umfassend selbst steuern können. Jeder weiß nach dieser Theorie am besten selbst, wie er/sie effektiv lernen kann. Allerdings setzt dieses Wissen eine Methodenkompetenz voraus, die erst in längeren Lernprozessen erworben werden muss.
Diese konstruktivistische Lerntheorie plädiert insbesondere für Lernformen, in denen der Lehrer nicht bloß Wissensvermittler, sondern ein Lernprozessberater ist. Der Lehrer soll sich bei konstruktiven Methoden eher im Hintergrund halten, Lernangebote schaffen, Wissensquellen bereitstellen und den Lernprozess beobachten. Schüler sollten "Kulturtechniken" in offenen Unterrichtssituationen und auch konstruiertes Wissen verfestigen, um diese/dies abstrahieren zu können. Ziel sei, zu höheren Erkenntnissen zu gelangen.
Einschlägige Einführungen finden sich bei Kersten Reich, Rolf Arnold und Horst Siebert.
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Der konstruktivistische Ansatz
Der konstruktivistische Ansatz bevorzugt offene Lernumgebungen, die …
- authentische und komplexe Situationen präsentieren,
- dem Lernenden Interaktionsmöglichkeiten bieten,
- multidimensional und pluralistisch sind
- und in denen Lernende selbständig Erfahrungen sammeln können.
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Konstruktivistische Gestaltungsprinzipien
Aus dem konstruktivistischen Ansatz und den neueren Instruktionsmodellen lassen sich eine Reihe von Prinzipien für eine erfolgversprechende Gestaltung von Lernumgebungen ableiten:
- Komplexe Ausgangsprobleme: Als Ausgangspunkt von Lernprozessen sollten komplexe, interessante und intrinsisch motivierende Problemsituationen gewählt werden. Eine komplexe Problemsituation kann z.B. in eine Geschichte, einen Videofilm oder in ein Projekt eingebettet werden. Das Wissen wird dadurch in einem Anwendungskontext erworben.
- Authentizität und Situiertheit: Die Lernumgebungen sollten dem Lernenden authentische oder realitätsnahe Situationen und Probleme bereitstellen. Damit wird die Distanz zwischen Lern- und Anwendungskontext verringert und träges Wissen vermieden.
- Multiple Lernkontexte und Perspektiven: Um sicherzustellen, dass Wissen nicht auf einen Kontext fixiert bleibt, sondern flexibel auf andere Problemstellungen übertragen werden kann, soll die Lernumgebung multiple Kontexte anbieten. Multiple Kontexte vermeiden eine "Übervereinfachung" eines Wissensgebietes und zeichnen sich durch wenig strukturierte Gebiete aus. Sie zeigen dem Lernenden "reale Komplexitäten" und Irregularitäten auf. Damit wird der Lernende befähigt, Probleme aus multiplen Perspektiven zu betrachten und das gelernte Wissen flexibel anzuwenden.
- Artikulation und Reflexion: Problemlöseprozesse sollten sowohl vom Lernenden als auch vom Lehrenden verbal beschrieben, artikuliert und in ihrer Bedeutung für unterschiedliche Zusammenhänge reflektiert werden. Damit wird die Fähigkeit, Wissen zu abstrahieren und in neuen Situationen anzuwenden gefördert, sowie Problemlösefähigkeiten trainiert.
- Lernen im sozialen Austausch: Das gemeinsame Arbeiten von Lernenden und Experten im Rahmen situierter Problemstellungen sollte Bestandteil möglichst vieler Lernphasen sein. Die Lernumgebungen sind daher so zu gestalten, dass sie Möglichkeiten für ein kooperatives Lernen und Problemlösen in Gruppen schaffen.
Bei der Umsetzung dieser Prinzipien können die verschiedenen Methoden und Techniken im Unterricht einen wichtigen Beitrag leisten. (Siehe Methodensammlung ab Kapitel 7)
Des Weiteren sind pädagogische Ziele, Lehrpläne, Seminarplanungen, Bildungsmaßnahmen usw. nie ohne wirkliche Beteiligung aller Lernenden zu planen, organisieren und abstimmen, was einen Grundsatz der systemisch-konstruktivistischen Didaktik darstellt.
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Vom Wissen zum Bewusstsein zur Weisheit – systemischer Ansatz
- Um etwas zu wissen, muss ein System zuerst Unterscheidungen einführen (ein Kleinkind führt z.B. die Unterscheidung Ich - Welt ein, um dann Wissen über sich und die Welt anzusammeln). Das generierte Wissen hat die Funktion, das Überleben dieses Systems innerhalb der getroffenen Unterscheidungen zu sichern.
- Ein häufiger Irrtum dabei ist, dass das Wissen in irgendeiner Form eine gegebene Welt abbildet. Im Gegenteil repräsentiert das Wissen die aus eigenem Antrieb zuvor (bewusst oder unbewusst) eingeführten Unterscheidungen. Wissen wird daher nicht aufgenommen, sondern vom System selbst generiert und hat keinen Abbildungscharakter (Anti-Repräsentationismus).
- Solange sich das System nun über die selbst eingeführten Unterscheidungen definiert, ist es im Irrtum. Es wird z.B. versuchen Wissen zu generieren, welches die eingeführten Unterscheidungen bestätigt und verfestigt (Assimilation). Durch jede solche Erzeugung von Wissen werden blinde Flecken eingeführt, welche die nicht passende Information ausblenden.
- Bei zunehmender Komplexität und Vernetzung führt diese starre Identifikation zu Schwierigkeiten. Unterscheidungen müssen aufgegeben bzw. ersetzt werden (Akkomodation, Paradigmenwechsel).
- Sobald das System die Möglichkeit entdeckt, Unterscheidungen und damit seine eigene Identität selbst zu modifizieren, führt dies zur Selbstorganisation. Das System kann sich operationell schließen und erzeugt nun Wissen über die eigene Identität (Selbstbewusstein).
- Wenn das System entdeckt, dass die Notwendigkeit, sich über Unterscheidungen zu definieren selbst auch schon auf Unterscheidungen aufbaut, entdeckt das System seine eigene Autopoiese (Selbsterzeugung). Es konstruiert sich und seine Umwelt selbst (Konstruktivismus.
- Das Potential zur Weisheit entsteht, wenn die Gebundenheit des Systems an solchen Unterscheidungen, d.h. an irgendwelchen Vorstellungen von sich selbst bzw. der Welt entfällt. Das System identifiziert sich mit seinem Eigenwert, der die Eigenschaft hat, sich unabhängig von Unterscheidungen zu stabilisieren (Diagonalisierung).
Infobox:
- Interaktionistischer Konstruktivismus als systemisch- konstruktivistische Didaktik
- Komplexe Ausgangsprobleme
- Authentizität
- Situiertheit
- Multiple Lernkontexte
- Reflexion
- Kooperatives und soziales Lernen
- Systemischer Ansatz
Zielfragen:
- Wie können konstruktivistische Perspektiven beschrieben werden?
- Welche Bedeutung haben diese drei Perspektiven für das Unterrichtsgeschehen?
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Folgende drei Beobachtungsperspektiven oder konstruktivistische Perspektiven werden in den nächsten Abschnitten näher beschrieben:
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SELBST GELERNT HÄLT BESSER - SERIE 1 / Teil 1, "Konstruktivistische Didaktik & Methodik"
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