IM FOKUS gelehrt. Denn wer hat Ihnen gesagt, worin Sie gut sind? Jeder braucht die Chance, dass ihm dabei geholfen wird, sich auf den Weg zu machen, das herauszufinden. Und zweitens müssen wir jedem sagen: Du bringst uns weiter, wenn du etwas beiträgst, was wir nicht wissen. Du musst unseren Weg kennen, nicht um ihn zu gehen, sondern um ihn zu verlassen. Innovation besteht nur darin, sein Wissen anzuwenden, um neue Wege zu gehen. Ist Kompetenz die Voraussetzung für Innovation? Hengstschläger: Ja, aber nicht die allei- nige. Es gehören auch Dinge wie Mut und Risikobereitschaft oder eine ordentliche Fehlerkultur dazu. Denn wer innovativ sein will, muss Fehler machen dürfen. Warum tun sich viele Menschen so schwer damit, neue Wege zu gehen? Hengstschläger: Weil wir es ihnen bei - gebracht haben. Schon im Kindergarten werden Kinder nicht dafür gelobt, dass sie ein rundes Haus mit einer runden Tür zeichnen. Sondern umso mehr, je näher ihr ursprüngliches Haus dem durchschnittlichen Haus kommt. Und was ist dieses durchschnittliche Haus? Es ist rechteckig, hat zwei Fenster, zwei Türen, ein Dach und einen Rauchfang. Dabei braucht es Menschen, die Häuser zeichnen, welche die Welt noch nicht gesehen hat. Hier wird also etwas Wich- tiges zerstört: Kreativität, die wir brauchen – in der Politik, in der Wirtschaft, überall. Wenn man neue Wege gehen will, muss man kreativ sein. Sich also auch von dem Wissen, das man hat, lösen zu können und zu sagen: Ich wende es an, aber was ich daraus mache, ist meine Sache. Was braucht eine Generation, um doch noch Innovationen zu schaffen, obwohl man es ihr nicht beigebracht hat? Hengstschläger: Mut. Ich unterrichte seit über 25 Jahren 18-jährige Menschen. Ich kann Ihnen also ein Bild davon geben, was sich in diesem Vierteljahrhundert geändert hat: Die Studenten heute sind klüger, besser ausgebildet, unheimlich effizient, sie sind multitasking – aber sie sind nicht mutig. Spanien hat die höchste Jugendarbeitslosigkeit Europas. Dabei haben spanische Jugendliche europaweit die höchste Akademikerquote. Es gibt also kein anderes Land in Europa, wo es so viele junge Menschen zusammen- gebracht haben, den Angeboten der Generation über ihnen zu entsprechen. Aber das alleine reicht nicht. Man braucht auch Innovationen, man braucht Ideen – und Mut. Wenn die Fragen von morgen genau die Fragen von heute wären und es würde sich nichts ändern auf dieser Welt, dann könnten wir mit unserem jetzigen Wissen auskommen. Aber es kommt jede Sekunde ein neues Problem, das wir lösen müssen. Und das können wir nur mit intrapersonaler Intelligenz, Kreativität und Mut – das sind die drei großen Parameter, die nötig sind, wenn wir weiter voran- kommen wollen. Wir müssen den jungen Menschen Kreativität und den Mut für den Weg zu Neuem beibringen. Es bleibt uns nichts anderes übrig. Kann man Kreativität und Mut lernen? Hengstschläger: Ich glaube nicht, dass das in einem steckt. Vielmehr bin ich aus eigener Erfahrung überzeugt, dass man das lernen kann. Ich hatte das Glück, dass meine Eltern mich dazu motiviert haben, etwas zu machen, was es vorher noch nicht gegeben hat. Daher behaupte ich, so etwas ist nicht genetisch, sondern da kann man viel weitergeben, indem man sagt: Trau dich! Natürlich braucht es aber auch Fleiß und Konstanz – sprich: Man muss üben, üben, üben. Und am besten das, worin man gut ist. Und woher kommt der Antrieb für den Fleiß und die Konsequenz? Hengstschläger: Lob ist der beste Weg, um zu motivieren. Man erwischt den Menschen am innersten Punkt, wenn man ihm sagt: Du bist in dem irrsinnig gut, du bist der Beste. Kritik ist selbstverständlich angebracht, aber sie muss klar formuliert sein. Und das Lob lässt uns die Kritik aushalten.• ZUR PERSON Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger ist Leiter des Instituts für Genetik an der Medizinischen Universität Wien. Der gebürtige Oberösterreicher und Vater von zwei Kindern promovierte mit 24 zum Doktor der Genetik, mit 35 wurde er zum jüngsten Universitätsprofessor für medi- zinische Genetik. Internationale Anerken- nung erfuhr Hengstschläger beispiels- weise durch seine Forschungen an der Erbkrankheit tuberöse Sklerose und die Entdeckung von Stammzellen in Frucht- wasser. Einige seiner Bücher: Die Macht der Gene. Ecowin Verlag sowie Piper Verlag, 2006/2008 Endlich unendlich. Ecowin Verlag, 2008 Die Durchschnittsfalle. Ecowin Verlag, 2012 Warum nur Knallköpfe die Welt vor Killer- Klobrillen retten. Mit Thomas Brezina als Co-Autor. Ecowin Verlag, 2014 20 WIFI-Magazin LENA 2015